Ikonisches Design übt eine große emotionale Anziehungskraft aus
Herr Salinger, wenn Sie eine Sache hervorheben müssten, die ikonisches Design ausmacht: Welche wäre es?
Wenn ich nur den einen Aspekt benennen darf, würde ich sagen: Ikonisches Design übt eine große emotionale Anziehungskraft aus. Wir sehen einen Gegenstand, ein Produkt, und sofort wird etwas in uns ausgelöst. Selbst wenn uns der konkrete Name entfallen ist oder wir ihn vielleicht niemals wussten, ist der Anblick oft verbunden mit einer Fülle von Assoziationen, Bildern und Stimmungen. Nehmen Sie beispielsweise Nesso von Giancarlo Mattioli/Gruppo Architetti Urbanisti Cittá Nuova, eine Tischleuchte, die unmittelbar verbunden ist mit dem dynamischen Aufbruchsgeist der Sechziger. Hier trifft eine minimalistische Formsprache – dezidiert modern, sehr italienisch, absolut cool – auf das damals völlig innovative Material Plastik, dazu diese frischen Farben: Orange und Weiß. Entscheidend ist aber, dass Nesso eben nicht nur innerhalb der Sechziger und ihrer spezifischen Ästhetik funktioniert, sondern auch in ganz anderen, davon losgelösten Kontexten. Sie ist eine großartige Verkörperung ihrer Zeit, transportiert deren Ideale aber zugleich in die Gegenwart: Offenheit, Verspieltheit, die Lust auf Zukunft. Ein ikonisches Design wie dieses bleibt im Gedächtnis der Menschen haften – und mit ihm die positiven Gefühle, die es verkörpert.
Um diese Gefühle zu erzeugen, sind aber einige Voraussetzungen nötig, oder?
Klar. Ein herausragendes Produkt zu schaffen ist schwierig, aber machbar. Sie benötigen beispielsweise exzellentes Know-how, beste Materialien, eine klare gestalterische Vision. Damit können Sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Ihr Produkt ein Erfolg wird. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Was Sie nun aber nicht beeinflussen können, ist, ob dieses Produkt zu einem Klassiker in seinem Bereich wird. Und schon gar nicht, ob es zu einer Ikone wird – also einen bleibenden kulturellen und ästhetischen Wert besitzt, der weit über den eigentlichen Produktnutzen hinausweist. Hier kommt nämlich etwas ins Spiel, über das Sie nicht verfügen können. Zeitgeist, bloßer Zufall, reine Magie … Ich weiß es nicht. Im Grunde lässt es sich mit einem Hit vergleichen: Sie können einen tollen Song haben, eine treibende Hook, einen Refrain, der richtig zündet. Aber wird daraus ein Evergreen, der in Jahrzehnten noch gesungen wird? Vielleicht, aber vermutlich eher nicht. Wenn es dann doch passiert: Umso schöner!
Es lässt sich aber schon ein wenig beeinflussen, ob ein Produkt zumindest das Potential hat, zum Klassiker zu werden, oder?
Zumindest gibt es etwas, das viele Designikonen miteinander gemein haben. Ich denke, wir haben es mit einem Zusammenspiel von mehreren Aspekten zu tun: Zunächst ist da eine Ästhetik, die in ihrer Zeit steht, sie kommentiert und reflektiert, aber doch darüber hinausweist. Von einer Ikone zu sprechen bedeutet ja immer, zeitlose Schönheit zu bewundern. Sie können beispielsweise auf klare, einfache Formen und harmonische Proportionen setzen, die das Design universell ansprechend machen. Eine gewisse Eigenständigkeit ist hier vorausgesetzt, dazu braucht es eine hohe Wiedererkennbarkeit. Idealerweise haben Sie ein Signature Design, das sich immer wieder neu interpretieren lässt, ohne dass Ihr Entwurf seine identitätsstiftenden Merkmale einbüßt. Mindestens ebenso wichtig ist der Faktor Technik. Fortschritte in der Materialwissenschaft und Produktionstechnologie ermöglichen es, Visionen in die Realität umzusetzen, die vorher nicht denkbar gewesen sind. Sind Sie hier Vorreiter, ist die Chance, dass Sie eine Ikone schaffen, ungleich höher. Nicht zuletzt bleibt Funktionalität ein Schlüsselelement: Sie brauchen ein Produkt, das einfach zu bedienen ist, das sich intuitiv und unmittelbar erschließt. Ganz so, als wäre es immer schon dagewesen. Und natürlich ist für ein Produkt, das zeitlose Gültigkeit hat, auch eine entsprechend langlebige Qualität entscheidend – eine Ikone muss so hochwertig gestaltet sein, dass sie Jahrzehnte der Nutzung überdauert.
Verraten Sie uns, welche Artemide-Leuchten Ikonenstatus besitzen und warum?
Zu den bekanntesten Leuchten gehören sicher Tizio und Tolomeo. Sie haben – neben vielen weiteren Leuchten – wesentlich dazu beigetragen, dass die Marke Artemide selbst einen legendären Ruf genießt, gerade unter Design- und Architekturschaffenden. Mit Tizio hat der große Richard Sapper damals ja lediglich eine Leuchte für seinen Schreibtisch konstruieren wollen. Sie sollte flexibel sein und ausschließlich die Arbeitsfläche beleuchten, lange Arme haben und einen schmalen Kopf. Damit die Leuchte so beweglich war, wie er sich das vorstellte, musste Sapper nicht nur eine perfekte Balance durch optimal angeordnete Gegengewichte erreichen, sondern auch eine aufwendige Verkabelung vermeiden. Also kam ihm die Idee, eine Niedervolt-Halogenlampe zu verwenden und die Arme der Leuchte selbst als elektrische Leiter einzusetzen. Über integrierte Stäbe und Knöpfe wird das Leuchtmittel mit Strom versorgt. Die transversale Nutzung der Halogenlampe, ursprünglich erfunden für Kfz-Frontscheinwerfer, war Anfang der Siebziger eine absolute Revolution – es gab nichts Vergleichbares auf dem Markt. Interessant ist aber nun, dass der ganz große kommerzielle Erfolg von Tizio erst rund ein Jahrzehnt später kam. Ihr elegantes, kühles Hightech-Design war nämlich besonders bei Wall-Street-Brokern beliebt, die während des Booms der Achtziger ja wiederum selbst ein Zeitgeistphänomen waren. Man kann Tizio deshalb auch im Film „The Wolf of Wall Street“ mit Leonardo di Caprio bewundern. Inzwischen sehen wir die Leuchte allerdings überall.
Kam der Erfolg von Tolomeo mit ähnlicher zeitlicher Verzögerung?
Circa drei Jahre hat es gedauert, bis die Leuchte von Michele De Lucchi erfolgreich wurde. Der Entwurf war technisch ja herausragend: ein genaustens ausgeklügeltes Federausgleichsystem, das es ermöglicht, den Arm und den Kopf einhändig in nahezu jede Position zu bringen. Wo er dann auch genau so bleibt, versteht sich. So etwas gehört zum Kompliziertesten, was man im Leuchtendesign machen kann. Inspirieren lassen hat sich De Lucchi übrigens von den alten Fischergalgen, die in Süditalien noch weit verbreitet sind. Mit ihrem Seilzugsystem können schwere Dinge verhältnismäßig leicht bewegt werden. Zur technischen Raffinesse kommt nun die reduzierte Formsprache, die klar, schlicht und elegant ist, zugleich aber etwas Familiäres, fast Vertrautes hat. Die Fachwelt hat die Tolomeo schnell als perfekte Verbindung aus Design und Funktionalität erkannt und sie mit zahlreichen Preisen bedacht. Zu Beginn und dann im Verlauf der 90er-Jahre ist die Beliebtheit der Leuchte dann unglaublich angestiegen. Designer und Architekten lieben sie bis heute innig, gerade in der klassischen Alu-Variante mit dem mattierten silbernen Leuchtenschirm. Sie ist praktisch zum Archetyp der designbewussten Schreibtischleuchte geworden. Ich höre immer wieder, dass viele die Tolomeo als eine Art Gefährtin wahrnehmen: unaufgeregt, zuverlässig und treu. Als sei sie immer schon dagewesen. Dazu hochwertig, langlebig und quasi unkaputtbar. Besser lässt sich vielleicht nicht beschreiben, was ein ikonisches Produkt ausmacht.
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